Du machst doch was mit Computer, oder?

Der nachfolgende Artikel hat fachlich wenig Tiefgreifendes zu erzählen sondern beschäftigt sich mit einer Basisfragestellung, die mich während meines mittlerweile fast 3 Jahrzehnte andauernden (IT-)Werdegangs ständig begleitet:

Du machst doch auch was mit Computer, oder?

Seit ich im fortgeschrittenen Alter von 17 Jahren das Elternhaus verlassen und mich in Hamburg niedergelassen habe, um was mit Computer zu machen, ist dieser Satz präsent. Und grundsätzlich haben die Personen, die das fragen, schon mal den Nagel auf den Kopf getroffen: Ich mache tatsächlich was mit Computern.

Gleichzeitig steht der Satz aber auch für reichlich Unwissen über diese Materie, was ich den meisten, ob der Komplexität der IT- oder auch allgemeinen Projekt- und Geschäfts-Welt, nicht verübeln und das absolut nachvollziehen kann. Und er hat sich witziger Weise seit 30 Jahren nicht verändert. So aktuell wie am ersten Tag.

„Du macht doch auch was mit Computer, oder?“

Die Frage steht also für eine mangelnde Vorstellungskraft bzw. mangelnde Erfahrungen, dass man, wenn man was mit Computer macht, auch Dinge tut, die nicht mit Druckerkabeln, Windows-Installationen oder Router-Neustarts zu tun haben. Und ganz wichtig: nein, man kommt auch nicht günstiger an Computer ran. Spätestens bei dem letzten Satz bricht für viele eine (Vorstellungs-)Welt zusammen.

Vielleicht ist es auch nur die logische Konsequenz der technologischen Weiterentwicklung und ein Generationskonflikt. Vielleicht auch ein etwas deutlicherer als er bei vorherigen Generationen merkbar war. Der Technologie-Sprung in den letzten 30 Jahren, insbesondere mit Einführung von Informationstechnologie, war vermutlich zuvor in der Weltgeschichte noch nie so hoch in so kurzer Zeit.

In den Anfangsjahren habe ich meinen Eltern und auch anderen aus meiner Herkunfts-Area (sowohl vor als auch hinterm Deich) versucht zu erklären, was ich so mit Computern mache. Selbst ganz am Anfang, als ich tatsächlich noch (wenn auch nur zu einem Teil meiner Zeit) Computer zusammengebaut und Netzwerke eingerichtet habe, habe ich jedoch auch Assembler, Cobol, C oder Pascal gelernt und auch schon mal kleine Programme geschrieben sowie Personen in der Bedienung von PCs oder konkreten Software-Produkten geschult. Damals noch sowas Verrücktes wie Word Perfect (oder Schlimmeres) auf MS-DOS-Basis. Oder ich habe – und das war damals dann schon eine gehobenere Beschäftigung – kleinen Firmen beigestanden, mit Adressdatendateien und bspw. Word Perfect, Serienbriefe zu erstellen und zu verschicken oder auch denen schon damals zu erläutern, wie man ein Offline-Mailing überhaupt grundsätzlich strukturell und inhaltlich sinnvoll aufbaut. Spannungskurve, Goldener Schnitt, above the fold und so’n Gedöns. Und ja, auch 1992 schon mit Grafiken.

Spätestens nach „Kobold“ sind auf jeden Fall 95% meiner Zuhörerschaft ausgestiegen.

Dabei wissen selbst Politiker heutzutage, dass man mit „Kobold“ tolle Autobatterien bauen kann. Aber egal, anderes Thema in Sachen „Neuland“.

Was kann er denn eigentlich?

Diese mangelnde Fortstellungskraft sorgt dafür, dass ich all die Jahre zahlreich und insbesondere in Bezug auf Problemstellungen befragt wurde, welche irgendwie was mit Computern und deren natürlichen Lebensräumen in (semi-)privaten Haushalten zu tun hatten. Und da ich das immer alles beantworten konnte, hat sich in den Köpfen festgesetzt, dass ich genau dafür und nur dafür da wäre, das meine Kernkompetenz sei und ich auch gar nichts Anderes weiß und es auch total toll finde, mich mit solchen Sachen herumschlagen zu dürfen.

Und ja, natürlich habe ich einiges an Know-How, wenn es darum geht, sich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen. Ich weiß auch, wie man die Fritz-Box so konfiguriert, dass man das Home-Internet mit dem DSL- oder Kabel-Anschluss zum Laufen bekommt und wie man schlau ein WLAN aufbaut oder ein Nebengebäude, das hinter den Stallungen für die Bediensteten errichtet wurde, ohne Netzwerkkabel sondern per Strom noch sinnvoll ins Internet bekommt. Und auch, dass nun Staubsauger mit einem sprechen oder Teppanyakis, die nach Erstinstallation für einen GetTogether mit den Jungs und Bierflaschen zum Staunen und Fachsimpeln taugen, aber danach nie wieder benutzt wurden, ist eine logische Konsequenz für mich. Alles technisch-evolutionär nachvollziehbar. Auch auf „Zigbee“ antworte ich nicht mit „Gesundheit!“, ich kenne den Unterschied zwischen POP3, IMAP und SMTP, ich weiß was DNS, CNAME, TTL oder MX-Eintrag bedeuten und was man damit macht und vor allem wo und ein Ping hat nicht unbedingt immer was mit der Jagd auf einen roten Oktober zu tun. Als Kind habe ich sogar mal ein Seepferdchen gemacht und ein bisschen Dänisch kann ich auch.
Danke LaRed und Bjarne Mädel für diesen Klassiker mit dem Dänisch.

Aber all das summiert sich nicht mal auf einen Prozentpunkt des Basiswissens, welches notwendig ist, um den Job zu machen, den ich heute mache.

Es hat im Laufe der Jahre für eine intensive Ermüdung gesorgt, wenn man sich doch ständig weiterentwickelt und neue Herausforderungen und Aufgabengebiete gesucht hat, man aber immer noch und viel zu oft mit nervigen Basics Dritter beschäftigen durfte und nicht gelernt hat, nein zu sagen.

Ich weiß nichts mehr

Ich habe irgendwann den Absprung geschafft und konnte den Eindruck (zumindest im privaten Umfeld) vermitteln, dass ich eigentlich gar nicht mehr viel weiß, wenn es darum geht, dass das Internet kaputt ist, der Rechner nicht mehr läuft, was eine Fehlermeldung bedeutet, die vom Nutzer ungelesen weggeklickt wird und ich weiß auch nicht mehr, was noch das Passwort für wessen E-Mail-Account oder Strato-Login war. Und wenn der Sohn vom Nachbarn irgendwo was am Router verstellt oder Plugins installiert, kann man auch manchmal einfach nicht mehr helfen.

Ich muss mir selber über 100 Passwörter für was-weiß-ich.de merken und die meisten scheitern schon daran, sich ein einziges zu verinnerlichen. Oder sie schreiben das dann auf einen Zettel und kleben den direkt neben dem Bildschirm. Chapeau!
Mein Blutdruck ist mir mittlerweile doch etwas wichtiger, als zu versuchen, alle Menschen auf dieser Welt in Home-IT-Basics missionieren zu wollen. Sowas mache ich nur noch für eine auserlesene, kleine Gruppe.

By the way, kurze Anekdote: Letzt habe ich jemanden bei einer Installation begleiten dürfen, am Ende derer er ein neues Passwort für seinen Apple eingetippt hat. Das Ergebnis: Ein einziges aber durchaus charmantes Leerzeichen.
Vermutlich ist das so unglaublich, dass es keine Hacker-Software der Welt herausbekommen würde. Die denken sich auch, so beachtlich kann niemand sein, nur ein einziges Zeichen einzugeben und dann auch noch ein Leerzeichen. Ich möchte Apple an dieser Stelle auch ein Stück weit beglückwünschen, dass sie so etwas überhaupt zulassen.

Und wieso erzähle ich das alles?

Mein täglich Job basiert irgendwie auf all dem Krams (außer das mit dem Seepferdchen) bzw. dem dafür notwendigen, umfangreichen Wissen, auch wenn ich sowas wie eben beschrieben nicht mehr selber mache bzw. es mir völlig ausreicht, meine eigene IT-Welt im Haus administrieren zu „dürfen“.

Ich benutzte Informationstechnologie, um große Projekte und Welten zu schaffen, um zu kommunizieren und zu verwalten, um Prozesse zu optimieren und Herr der Lage zu bleiben, zu coden (programmieren) oder zu designen. Und sehr sehr selten auch, um mal ein Spiel zu spielen. Aber ich beschäftige mich nicht mehr mit dem Computer zum Selbstzweck und ich lasse mich auch nicht mehr vom Computer beschäftigen. Der Computer ist ein professionelles Tool, auf dem viel Software läuft, und das hat zu funktionieren. Und es muss performant funktionieren, um Requirements-Engineering, Business-Analyse, Agile Transformation, Prozesse, Projektmanagement, Beratung, Schulung in komplexen und deutlich erklärungsbedürftigen Geschäftsumfeldern ausüben zu können. Und was einem noch so einfällt.

Wenn du nun den Personen, die bei „Kobold“ bereits ausgestiegen sind, das alles erläutern möchtest, stehst du auf verlorenem Posten. Man schafft es einfach nicht, das landschaftlich zu beschreiben, was man tut und wie wichtig das ist oder wer davon profitiert, weil man dann vom Hundertsten ins Tausendste abdriften müsste, da evolutionär- und generationsbedingt keine ausreichenden Basics vorhanden sind, geschweige denn eine Vorstellungskraft für das große Ganze und dessen Zusammenhänge und das man vielleicht gar nicht mehr was mit Computer macht sondern dies „nur noch“ als Werkzeug nutzt, um ganz andere Dinge zu schaffen.


Ich: „Ja, wenn du auf das X klickst, schließt sich das Fenster. Der Knopf daneben blendet das Fenster nur aus und du siehst das dann unten in der Task-Leiste!“

Andere so: „Task-Leiste???“


Und ich habe es auch aufgegeben. Die Eltern und sonstige übrigens auch. Beruht also auf Gegenseitigkeit. Die haben sich wohl mittlerweile damit zufrieden gegeben, dass man mit dem Quatsch, den ich (und viele andere) mache/n, ausreichend monetäre Mittel erwirtschaften kann, um sich Nutella statt Nusskati leisten zu können.

Ich möchte hiermit anmerken, dass ich Nusskati geiler finde als Nutella. Unabhängig davon verachte ich die gesamte Palmöl-Industrie und deren Auswirkungen auf den Planeten und beschränke mich mit dem Konsum auf wenige Happenings im Jahr. Bspw. ein Nusskati-Brötchen zum jährlichen Bad.

Veränderung

Irgendwann vor nicht all zu langer Zeit merkten die Eltern gegenüber Dritten an, dass der Jung wohl in einer Agentur arbeiten würde. Das war dann der Dolchstoß ins Herz (mit Umdrehen und Herausziehen) zu diesem historischen Werdegang. Ohne die Arbeit von Agenturen schmälern zu wollen.

Andere so: „Als Grafiker?“

Eltern: „Nein, der macht da was mit Computer!“

Im Moment arbeite ich für ein einigermaßen renommiertes Print-Magazin mit Online-Ableger. Wenn das erzählt wird dann:

Andere so: „Als Redakteur?“

Eltern: … Sie können es schon ahnen.

Ich habe noch einige Jahre bis zur dann nicht vorhandenen Rente, das kann daher nicht alles gewesen sein und die Geschichte geht sicherlich noch weiter.

Und ich bin auch total gespannt, vor welchen Herausforderungen unsere Generation später oder bald stehen wird. Ich erwarte da irgendwelche Bio-Schnittstellen, die unser alterndes Hirn nicht verarbeiten kann. Und während wir dann erfolglos versuchen, den ausschließlich via bio-interface steuerbaren und fahrbaren Gartenhäcksler zu bedienen, der dann unkontrolliert durch Muttis Tulpen pflügt, werden wir von unseren Kindern kopfschüttelnd ausgelacht.

Ich mache halt nur was mit Computer.